Das achte Weltwunder
von Walter-Jörg Langbein Startseite - Berichte
Seit unzähligen Jahrtausenden üben Superlative auf den Menschen eine prickelnde Faszination aus. Staunend steht er vor den oftmals fantastischen Werken der Natur. Stolz ist er freilich auf von Menschenhand geschaffene Denkmäler, die für die Ewigkeit gedacht waren, sich aber als sehr vergänglich erwiesen.
Im 2. Jahrhundert vor Chr. stellte der Historienschreiber Antipatros von Sidon eine Liste der "sieben Weltwunder" auf. Er nannte die Mauern von Babylon, den Zeus von Olympia, den Koloss von Rhodos, die Hängenden Gärten, die Pyramiden, das Mausoleum und den Artemnis-Tempel.
Wehmütig beklagen wir, dass von jenen einst so stolzen Zeugnissen menschlicher Schaffenskraft lediglich die ägyptischen Pyramiden die Jahrtausende überdauert haben. Dabei wird freilich übersehen, dass es ein achtes Weltwunder aus uralten Zeiten gibt.
Nan Madol aber liegt von Europa aus gesehen wirklich "am anderen Ende der Welt". Wer einmal nach Nan Madol gereist ist, der weiß, wie groß unser Erdball wirklich ist. Meine Flugroute: Hannover - Frankfurt - Newark/ New York - Honolulu/ Hawaii - Johnston Island - Majuro - Kwajalein - Kosrae - Pohnpei. Für den "einfachen Weg" müssen - und das bei günstigen Flugverbindungen! - drei oder vier Tage einkalkuliert werden. Aber die rund 22 000 Kilometer lohnen sich!
Riesenbauten auf künstlichen Inseln
Pohnpei ist die größte der Karolinen-Inseln, die zu Mikronesien gehören. Bei Pohnpei, auf den Karten des Südseeraums allenfalls als kleiner Klecks verzeichnet, handelt es sich genau betrachtet wiederum um eine eigene Inselgruppe. Vom Flugzeug aus gesehen sticht zunächst das gebirgige, grüne Zentrum von Pohnpei ins Auge. Beim Landeanflug fallen weitere Details auf. Schützend umgeben ein schmales steiniges, trostloses Riff und winzig wirkende, oft kaum die schaumigen Meereswogen überragende Felsbrocken das Haupteiland. Die "Felsbrocken" erweisen sich wiederum als einzelne kleine Inseln oder Ansammlungen kleiner Eilande, gegen die mächtige Wellenberge anstürmen.
Den Namen Pohnpei, so haben Sprachforscher herausgefunden, kann man übersetzen: "auf einem steinernen Altar". In Erinnerung an die alten Götter, die hier einst verehrt wurden, wurden 1984 diverse Schreibweisen wie Ponape und Ponape To offiziell abgeschafft. In der neuen Verfassung wurde offiziell Pohnpei als amtlicher Name festgeschrieben. Welchen Göttern zu Ehren wurde da ein Inselkomplex als "steinerner Altar" bezeichnet? Welchen Göttern wurde hier gehuldigt?
Anno 1828, so steht es in den Geschichtsbüchern, entdeckte der russische Kapitän Fedor Lütke die Inselwelt. Viele Einheimische hören das nicht so gern. "Was heißt hier, unsere Heimat wurde 1828 von einem Russen entdeckt? Das ist doch Unsinn! Entdeckt wurde unsere Heimat von unseren Vorvätern vor Jahrtausenden!"
Recht unscheinbar wirkt zunächst, allerdings nur aus der Luft betrachtet, Temwen (frühere Schreibweise: Temuen). Örtliche Forscher freilich haben herausgefunden, dass Temuen kein Produkt von "Mutter Natur" ist. Temuen besteht nämlich aus einem dichten Komplex von 82 künstlich geschaffenen Inseln! Geniale Konstrukteure haben zunächst ein Fundament aus tonnenschweren Steinbalken gelegt - unter Wasser! Das wird wohl bei Ebbe geschehen sein. Dann ist das Meer an manchen Stellen extrem seicht. Trotzdem kann man ob der enormen bautechnischen Leistung nur staunen!
Die 82 Inseln sind tatsächlich künstlich, von Menschenhand angelegt: Hatte man erst einmal eine Grundmauer errichtet, so wurde sie hauptsächlich mit Steinmaterial, Korallenstaub und Erde aufgefüllt. Auf dieser Basis wiederum wurden riesige Gebäude im Blockhüttenstil aufgetürmt, wobei bis zu neun Meter lange sechs- und achteckige Säulen verwendet wurden. Die künstlichen Inseln, die seit unzähligen Jahrhunderten den Gewalten des tosenden Meeres trotzen, stellen zusammen mit den steinernen Riesenbauten das achte Weltwunder dar: Nan Madol!
Nan Madol war einst so etwas wie das steinzeitliche Venedig der Südsee. Zwischen hunderten mächtigen Bauten auf künstlichen Inseln gab es kanalartige Seewege anstatt von Straßen. Die Bewohner von Nan Madol besuchten sich gegenseitig mit dem Boot. Es nimmt nicht Wunder, dass sie ihre in den Weiten der Südsee verlorene Heimat Nan Madol nannten, was sich mit "Ort der Zwischenräume" übersetzen lässt.
Der Weg von Pohnpeis Hauptstadt Kolonia nach Nan Madol ist nichts für Menschen, die schnell seekrank werden. Die Reise muss so angetreten werden, dass man dann am Ziel ankommt, wenn die Flut hoch steht. Und man muss sich wieder auf den Rückweg machen, so lange die Flut noch währt. Sonst sind die seichten Meeresuntiefen um Nan Madol herum nicht zu passieren.
Lihp Spegal, der tüchtige Guide, erklärte mir: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste: Man fährt langsam aufs Meer hinaus. Dann spürt man jede einzelne Welle und wird durch das dauernde Auf und Ab auf den hohen Wellen seekrank. Die zweite: Man fährt so schnell es geht. Dann fliegt man förmlich über die Wellen dahin. Aber fast jede schlägt kräftig gegen den Boden des Boots. Man wird also tüchtig durchgeschüttelt!"
Wir entschieden uns für Version 2. Tag für Tag nahmen wir zwei bis drei Stunden Ritt auf den polternden Wellen in Kauf. Und das in einem einfachen Kahn, auf einem Brett am Boden sitzend. Meine Kameraausrüstung lag dabei in meinem Schoß. Ich versuchte, die gewaltigen Schläge so gut es ging abzufedern. Ausgestattet war unser Vehikel mit einem Motor für ein starkes Rennboot. So brauste unser Kahn nur so dahin, bekam etwa alle zehn Sekunden von einer Welle einen gewaltigen Hieb gegen den wenig vertrauenserweckend aussehenden Boden. Die langen Risse im Kunststoffrumpf übersahen wir dabei geflissentlich. Irgendwann würde der Rennkahn auseinanderbrechen. Sollte mir das widerfahren, so hoffte ich, dass die Haie derweil anderweitig beschäftigt sein würden.
In rasender Fahrt ging es vorbei an kleinen dicht bewaldeten Inselchen. Da und dort sieht man eine windschiefe Hütte darauf errichtet. Ein paar Pfähle wurden in den Boden gerammt. Ein Wellblechdach als Regenschutz und Schattenspender angebracht. Diese "Bauten" passen nicht in die Natur. Schon haben wir die kleinen Eilande hinter uns gelassen. Immer wieder musste das Tempo stark gedrosselt werden. Dann zuckelten wir wieder einmal über eine seichte Untiefe. Bunte Seesterne leuchteten vom greifbar nahen Boden. Geschickt hob dann Guide Lihp Spegal den Außenbordmotor hoch. "Sonst streift er mir am Boden an!" erklärte er lachend in gut verständlichem Englisch und fügte hinzu: "Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wir hätten eine tonnenschwere Basaltsäule im Boot, um sie nach Nan Madol zu transportieren! Wir würden garantiert an einer dieser Untiefen hängen bleiben!"
Gnadenlos brannte die Sonne vom Firmament, wenn es nicht wieder einmal in Strömen regnete. Sonnenbrände entstehen, mag man sich noch so intensiv mit Sonnencreme einschmieren, alle Tage wieder. Die Schmerzen sind aber rasch vergessen. Denn unser Ziel ist das achte Weltwunder, das steinzeitliche Venedig der Südsee.
Schon dem flüchtigen Beobachter drängen sich Fragen auf, sobald er sich per Boot dem geheimnisvollen Ziel nähert. Sie konnten bislang nicht zufrieden stellend beantwortet werden. Warum wurde im Meer vor der südöstlichen Küste von Temuen ein steinzeitliches "Disneyland" geschaffen? Warum geschah dies nicht statt dessen auf der Hauptinsel von Pohnpei, also auf Temuen selbst? Etwa im Norden, im Distrikt Sokehs. Hier wachsen vieleckige Steinsäulen wie monströse Haare aus dem Boden: erstarrte Lava. Diese natürlichen Riesenbalken wurden abgeschlagen, wie auch immer über weite Distanzen transportiert und zu gewaltigen Bauten nach dem "Blockhütten-Prinzip" aufgetürmt.
Heutige "Aufklärer" der populärwissenschaftlichen Sorte neigen dazu, die großen Rätsel der Vergangenheit einfach wegzuerklären. Dies geschieht auch in Sachen Nan Madol. Da wird so getan, als sei es geradezu ein Kinderspiel gewesen, das Baumaterial für die Monsterbauten von Nan Madol zu gewinnen. Weil angeblich die Basaltpfeiler allesamt so, wie sie später verbaut wurden, fix und fertig vor Jahrmillionen entstanden.
Oxford-Professor John Macmillan Brown, unermüdlicher Forschungsweltreisender und einer der großen Gelehrten Neu Seelands, Gründer die "University of Canterbury" von Christchurch, anno 1924 in "The Riddle of the Pacific": "Beim südöstlichen Riff von Ponape gibt es eine zyklopische Ruine; da sind große Gebäude mit einer Grundfläche von insgesamt elf Quadratmeilen errichtet worden, auf quadratischen oder rechteckigen künstlich geschaffenen Inselchen. Das Verschiffen über das Riff bei Flut und das Hochzerren dieser gewaltigen Blöcke, wovon viele bis zu fünfundzwanzig Tonnen wiegen, bis in eine Höhe von zwanzig Metern, muss den Einsatz von Zehntausenden von gut organisierten Arbeitern bedeutet haben. Und die müssten alle gekleidet und ernährt worden sein."
Das aber, so der Gelehrte, war eigentlich unmöglich: Für zehntausende Arbeiter war kein Platz. Zehntausende konnten nicht hinreichend ernährt werden. So viel Nahrungsmittel konnten auf dem kleinen Eiland gar nicht produziert werden. Und selbst wenn die Arbeitssklaven kärglichst verköstigt wurden, so hätten sie doch unübersehbare Spuren hinterlassen müssen. Selbst wenn sie in armseligsten Behausungen vegetiert hätten, derlei große Ansiedlungen verschwinden nicht spurlos.
Fazit: Um die Bauten von Nan Madol zu verwirklichen, wären Zigtausende von Arbeitern erforderlich gewesen. Ein auch nur annähernd großes Heer von Arbeitern hat es aber auf Nan Madol nie gegeben. Also dürfte es eigentlich die Anlagen von Nan Madol gar nicht geben. Sie existieren aber. Professor Macmillan Brown: "Es ist eines der großen Mirakel der Südsee!"
Warum hat man aber die Gebäude nicht in der Nähe des Steinbruchs errichtet? Dann wäre das Problem des Transports der Säulen erst gar nicht aufgekommen. Irgendwie muss es vor vielen Jahrhunderten gelöst worden sein. Wie? Eine überzeugende Antwort vermögen die Archäologen nicht zu bieten! Warum wurden an der entgegengesetzten Seite der Hauptinsel erst im seichten Wasser unter kaum vorstellbarem Aufwand 82 künstliche Inseln gebaut, um als Grundlage, als Fundamente für eine steinzeitliche Anlage monströser Bauten zu dienen? Warum schuf man direkt im Meer eine Stadt? Und nicht auf dem Festland von Temuen selbst?
Warum wurde überhaupt mit Stein gebaut? Gab und gibt es doch Holz in unbeschreiblichem Überfluss. Holzstämme standen also in ausreichendem Maße zur Verfügung, um die ganze Insel mit Häusern und Tempeln förmlich zu überziehen. Warum verschmähte man aber dieses leicht zu bearbeitende Material und zog tonnenschwere Basaltsäulen vor? Wie wurden die bis zu neun Meter langen und oft mehr als zehn Tonnen schweren Säulen transportiert? Welchem Zweck dienten die Bauwerke?
Erste europäische Besucher
James G.O’Connell war vermutlich der erste Europäer, der die geheimnisvolle Welt von Nan Madol bestaunte und ausführlich beschrieb. In seinem Werk "Adventures of James G. O’Connell", 1836 in Boston publiziert, lesen wir: "Das schönste Abenteuer dieser Exkursion war die Entdeckung einer großen unbewohnten Insel, auf der erstaunliche Ruinen waren, von einem geradezu wirklich wundersamen Umfang und Ausmaß. Im äußersten Osten befindet sich eine große flache Insel, die bei Flut in dreißig oder vierzig kleinere unterteilt zu sein scheint, nämlich vom Wasser, das dann ansteigt und über sie fließt. Dort gibt es keine Felsen, die von der Natur aus dort befinden.(Sie müssen also von Menschenhand hingeschafft worden sein.) In manchen Teilen wachsen Früchte, reifen und verfaulen. Aus einer gewissen Entfernung scheinen die Ruinen eine fantastische Anhäufung durch Mutter Natur zu sein, als wir uns aber näherten, waren wir erstaunt ob der offensichtlichen Spuren von Menschenhand bezüglich ihrer Errichtung.
"Die Flut war hoch, unser Kanu wurde in einen schmalen Bach gepaddelt, der so eng war, dass er an manchen Stellen kaum durchfahren konnte. Am Eingang passierten wir viele Yards zwischen zwei Mauern, die so nah waren, dass wir beide vom Boot aus, ohne seine Lage zu verändern, die Wände hätten berühren können."
Für die Bewohner der Nachbarinseln war die Ruinenwelt absolutes Tabu ("majorhowi"). Ein Zauber, so warnte man James G. O’Connell eindringlich, liege auf der mysteriösen Stätte und werde ihn töten, so er den heiligen Bauten auch nur nahe komme. O’Connell ließ sich nicht abschrecken. Immer wieder kehrte er zurück, beobachtete, studierte und notierte seine Eindrücke. Bewundernd hielt er fest: "Die immense Größe eines Teils der Steine in den Wänden machte es unmöglich, dass sie ohne die Hilfe einer mechanischen Apparatur hätten eingebaut werden können, welche allem überlegen hätte sein müssen, was ich bei den Insulanern sah."
Am 26. August 1857 veröffentlichte Dr. L. H. Gulick in "The Friend" seinen Bericht eines Besuchs von Nan Madol. Da heißt es: "Die gesamte Hauptinsel, und auch kleinere der bescheidensten Größe sind, so kann man sagen, von steinernen Strukturen überzogen, die man gewöhnlich als Ruinen bezeichnet, obwohl man daraus nicht ableiten sollte, dass sie tatsächlich in einem ruinenhaften Zustand sind. Es ist schwierig eine Meile, ja auch nur die Hälfte davon, in irgendeine Richtung zu gehen, ohne auf die Überreste uralter Arbeit zu stoßen. Sie werden an allen möglichen Orten entlang der Küste, Meilen davon entfernt im Landesinneren, auf Anhöhen und in abgeschlossenen Tälern, auf flachen Ebenen und an Steilhängen gefunden."
Unterwegs in Nan Madol
Nan Douwas heißt eine der Inseln, für die allein sich jeder Pohnpei-Besucher mehrere Tage Zeit nehmen sollte. Lihp Spegal, der tüchtige Guide, der mich mehrere Tage lang durch die steinernen Anlagen von Nan Madol geleitet hat, übersetzt den Namen: "Im Mund des Hohen Häuptlings". Was das zu bedeuten hat, weiß er nicht zu sagen. Hier soll einst die Gottheit Nahnisohnsapw verehrt worden sein. Hier wurden die ersten Herrscher von Nan Madol feierlich in bunkerartigen Grüften bestattet. Jene Auserwählten sollen noch Kontakt zu den himmlischen Lehrmeistern gehabt haben, die auch in der Südsee als reale Wesen angesehen wurden, nicht etwa als geistige Prinzipien oder Verkörperung von Naturgewalten.
"Nan Douwas" macht einen wahrlich imposanten Eindruck. Die äußeren Mauern, bestehend aus meterlangen Basaltsäulen, sind stolze neun Meter hoch und drei Meter dick. Das riesige Geviert ist quadratisch angelegt. Jede Seite misst neunzig Meter. Vorsichtigen Schätzungen zufolge wurden allein hier schon 25 000 Basaltsäulen verarbeitet!
Im Inneren folgt eine weitere Mauer, die einen Innenhof umgibt. Sie ist wiederum aus Basaltkolumnen errichtet worden. Aus gleichem Material ist auch die zentrale Gruft, die an einen Bunker erinnert. Die meterlangen "Steinbalken" sind millimetergenau aufeinandergesetzt. Auf Mörtel oder ein sonstiges Bindemittel wurde verzichtet. Geschickt wurden immer wieder bewusst Hohlräume ausgespart und mit zerstoßenen Korallen aufgefüllt. Verarbeitet wurden allein für die Gemäuer von "Nan Douwas" 13 500 Kubikmeter Füllmaterial und 4 500 Kubikmeter Basalt in Form von Steinsäulen.
Worte sind zu schwach, um hinreichend zu beschreiben, was die Väter des achten Weltwunders einst vollbracht haben! Selbst noch so gute Fotos können die unglaublichen Leistungen der alten Südseebewohner nicht ausreichend würdigen. Die riesigen Gebäudekomplexe lassen sich nun einmal nicht wirklich fototechnisch erfassen. Wer freilich in der tropischen Hitze an Ort und Stelle die mysteriösen Bauwerke abgeschritten ist, der begreift, dass Nan Madol mit Fug und Recht als achtes Weltwunder bezeichnet wird.
Doch selbst wer es vor Ort erkundet, kann nur erahnen, wie gewaltig der riesige Komplex einst war. Auch heute können noch manche Kanäle per Boot mit möglichst geringem Tiefgang erkundet werden. Andere wiederum sind fast vollständig von tropischem Blattwerk zugewuchert. Es ist ein faszinierendes Erlebnis, sich vorsichtig per Boot in jenes grüne Dickicht hineinzuwagen. Hohe Pfahlwurzeln ragen weit aus dem brackigen, manchmal faulig riechenden Wasser heraus, verzweigen sich oberhalb des Wasserspiegels zu bizarren gewachsenen Kunstwerken.
"Wie können Pflanzen im Salzwasser wachsen?" Lihp Spegal zuckt mit den Schultern. "Es gibt hier wahrscheinlich Süßwasserquellen! Im Gemisch aus salzigem und süßem Wasser gedeiht die Pandanuspflanze!"
Pandanus wächst "unkrautartig" auf Pohnpei. Ihre Früchte wurden schon vor Jahrhunderten von den Seefahrern geschätzt. Gebacken oder zu einer Paste verarbeitet dienten sie auf langen Seereisen als Kraftnahrung für die Seeleute.
Das üppige Blattwerk bietet einen angenehmen Schutz vor der grellen Sonne. Ein mildes Halbdunkel breitet sich aus. Das Auge gewöhnt sich an die neue, angenehme Situation. Obwohl die Luft feucht und warm ist und überall kleine oder größere Tümpel ideale Brutstätten für Moskitos wären, gibt es diese bösen Plagegeister hier nicht. Überall taucht zwischen Wurzeln und Farnen das typische Nan-Madol-Mauerwerk auf. Lange sechs- oder achteckige Säulen sind da aufeinandergetürmt. Meist sind die Mauern nicht sehr hoch, erinnern eher an rudimentäre Fundamente als an Wände. Wurden alte Gebäude weitestgehend abgetragen, wenn neue errichtet wurden? Wie wurden sie transportiert? Auf Kähnen über die Wasserstraßen?
Deutlicher noch sind Mauern zu erkennen, die die Kanäle begrenzen. Oder sind es die Fundamente der künstlichen Inseln, an denen wir vorbeifahren? Auch im Wasser liegen Basaltsäulen. Wurden sie beim Transport verloren? Oder sind es Reste von Bauten, die hier einst standen? Wurden sie abgetragen, als neue künstliche Eilande angelegt wurden? Angeblich wurde mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Jahre an der Inselwelt gebaut. Imme neue Architekten verwarfen alte Pläne und entwickelten neue. Sie ließen wieder abtragen, was Generationen zuvor errichtet hatten. Immer wieder soll Magie im Spiel gewesen sein. Zaubersprüche wurden angeblich benutzt, um die Riesensäulen leicht zu machen.
Hastig huschen Fischschwärme am steinigen Boden dahin. Manchmal dringt ein Sonnenstrahl durch das Blattwerk bis auf den Grund des niedrigen Kanals. Golden blitzen Fische auf. Sie fliehen vor dem leise tuckernden, langsam dahingleitenden Motorboot.
Immer wieder sind die Spuren von schmalen Kanälen auszumachen, die einst seitlich von der "Hauptwasserstraße" wegführten. Sie sind aber verschlammt, zugewachsen und für Boote nicht mehr passierbar. "Vielleicht gibt es hier im Morast noch Reste der alten Schleusen!" mutmaßt der tüchtige Guide. "Man müsste sie ausgraben, freilegen! Aber wer soll das bezahlen?" Dann mahnt Lihp Spegal ernst zum Aufbruch: "Wir müssen umkehren! Noch ist Flut, bei Ebbe schaffen wir den Rückweg nicht! Dann ist an manchen Stellen das Wasser zu seicht!"
Zurück bleibt die märchenhaft schöne, verträumte Zauberwelt der künstlichen Inseln des steinzeitlichen Venedigs der Südsee. "Morgen kommen wir wieder!" Mehr als strapaziös ist der Weg zu den mysteriösen Ruinen. Doch wer einmal hier war, ist vom geheimnisvollen friedlich-idyllischen Zauber fasziniert, der möchte immer wieder in dieses Paradies zurückkehren. Es sind nicht die erstaunlichen Ruinen allein, die faszinieren. Es ist nicht die üppige Pflanzenpracht allein, die es auf anderen Südseeinseln in bunteren Variationen gibt, die den Besucher fesselt. Es ist die dichte Atmosphäre, die von begabten Hollywoodregisseuren mit noch so vielen Dollars nicht realisiert werden könnte, die den Besucher in ihren Bann zieht: hier sind Mythen und alte Sagen förmlich greifbar. Man spürt sie geradezu körperlich, ohne sie zu verstehen.
Schatzsuche
Nan Douwas ist das am besten erhaltene steinerne Riesenbauwerk. Furchteinflößende Kräfte gewaltigen Ausmaßes haben freilich dem hohen Außenwall zugesetzt. Die imposanten Basaltsäulen, die heute nur mit starken Kränen bewegt werden könnten, wurden umhergewirbelt, so als handele es sich um ein überdimensionales Mikado-Spiel. Wer oder was brachte Teile der monumentalen Mauer teilweise zum Einsturz? Ein Erdbeben? Ein Orkan? Eine Riesenwelle? Oder fielen sie von Menschenhand, in einem Krieg?
Anno 1595 betrat Pedro Fernandez de Quiros als erster Weißer Nan Madol. Nan Douwas imponierte ihm sehr. Solch eine gewaltige Festungsanlage, schlussfolgerte der recht materiell denkende Seemann, musste doch immense Schätze bergen. Vergeblich suchte er nach Wertvollem und verschwand enttäuscht. Anno 1686 sahen sich Spanier Nan Douwas an. Sie beanspruchten den gesamten Inselkomplex als Besitz der spanischen Krone. Auch die neuen Herren suchten vergebens nach kostbaren Schätzen.
Anno 1826 landete James O’Connel als Schiffbrüchiger. Ihm wurde ob der Einheimischen Angst und bange. Freilich erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet. Der wackere Ire kam erst gar nicht auf den Speiseplan der einheimischen Kannibalen, die damals angeblich noch der Menschenfresserei huldigten. Er heiratete eine Einheimische und ließ sich am ganzen Körper tätowieren. Die Meister jener Kunst genossen es, die weiße Haut mit komplizierten Motiven zu überziehen. (Später zog O’Connel mit einem Zirkus um die Welt und ließ sich gegen Barbezahlung bestaunen.) Wenn je ein Außenstehender das Vertrauen der Einheimischen genossen hat, dann war es der einstige Schiffbrüchige. Auch er erfuhr freilich nichts von einem Schatz auf Nan Douwas.
Nan Douwas ist freilich nur eine steinerne Anlage der mysteriösen Art von vielen. Sie alle wurden einst auf einer künstlichen Inseln errichtet.
Dapahu gilt heute als eines der ältesten künstlichen Eilande, soll etwa 230 nach der Zeitwende erbaut worden sein. Solche Datierungen sind freilich fragwürdiger denn je. Gewiss, es fanden sich hier mehr auswertbare Spuren als sonst wo in Nan Madol: unzählige Töpferwaren. Ist es aber nicht eher unwahrscheinlich, dass in den angeblich ältesten Bauwerken die meisten Spuren der einstigen Bewohner gefunden wurden? Wahrscheinlicher ist es doch, dass dort, wo besonders viele Tonwaren gefunden wurden, historisch gesehen zuletzt gesiedelt wurde. Dann aber wäre "Dapahu" nicht die älteste, sondern die jüngste Anlage. Dann müssten folgerichtig die anderen noch älter sein.
Diese Annahme wird auch durch die örtliche mündliche Überlieferung bestätigt! Auf Dapahu sollen einst die Speisen für die ersten Herrscher von Nan Madol zubereitet worden sein. Besonders hohes Ansehen genossen die Schiffsbauer. Die Besten der Besten arbeiteten für die hohen "Chefs". Sie hatten auf Dapahu ihre Werkstätten. Oder sollte man besser sagen: ihre Büros? Denn die Herrscher mieden allem Anschein nach wo immer das möglich war jeden Kontakt mit der "niederen Bevölkerung".
Pahn Kadira war das logistische Zentrum. Von hier aus wurden die Baumaßnahmen gesteuert. Hier wohnten die besten Steinspezialisten. Sie waren es, die die riesigen Basaltsäulen, die im Norden von Temuen aus dem Boden wuchsen, "fällten". Allein das erforderte schon erstaunliches Können. Die gewaltigen Kolosse mussten nicht nur "geschlagen" werden. Sie mussten mit enormen Kraftaufwand niedergelassen werden, ohne dass die viele Tonnen schweren "Steinstämme" zerbrachen. Wie wurden sie abgesägt? Schließlich stand den Spezialisten damals angeblich kein Metall zur Verfügung!
Außerdem mussten die steinernen Rohlinge allesamt bearbeitet werden. Es galt beispielsweise die Kanten der Säulen herauszuarbeiten, die Flächen zu glätten. Wie soll das geschehen sein, wenn doch keine Werkzeuge aus Metall zur Verfügung standen? Angeblich hat man Schalen der Tridacna-Riesenmuscheln verwendet, aus denen tatsächlich allerlei Werkzeuge angefertigt wurden. Bei archäologischen Ausgrabungen wurden Beile aus diesem doch eher weichen Material gefunden. Mit diesen Äxten sollen auch die gewachsenen Steinstämme gefällt worden sein. Ob tatsächlich die Riesenmuscheln hart genug sind, um damit Basalt zu bearbeiten, sei dahingestellt. Ausprobiert worden ist es bis dato noch nicht.
Ungeklärt ist bis heute auch die Frage, wie denn diese angeblichen Muschelwerkzeuge selbst fabriziert und bearbeitet wurden. Wenn sie Basalt schneiden, dann müssen die Muscheln härter als Basalt sein. Wie wurde dann das Werkzeug gefertigt? Dazu wäre ein anderes Werkzeug aus Material erforderlich gewesen, das härter als Basalt und Muschel war! Also vielleicht Metall? Und wenn ja: welches? Aber den Erbauern der steinernen Anlagen war kein Metall bekannt, das dazu hätte verwendet werden können, Basalt oder harte Muscheln zielgerecht zu schneiden.
Pahn Kadira, wo die hochherrschaftlichen "Städteplaner" und die besten Steinspezialisten residierten, war mit einem "Tabu" belegt. Gewöhnliche Sterbliche durften das Eiland nur mit spezieller Genehmigung betreten. Der Eingang zu der "verbotenen Stadt", die auch "Unter dem Tabu stehend" genannt wurde, hieß "Rin". Hier wachte der angesehene "Keus". Dieser Titel lässt sich mit "Wer bist du?" übersetzen. Wer von diesem Hüter die Erlaubnis erhalten hatte, das künstliche Eiland zu betreten, durfte noch lange nicht in die "königliche Stadt" selbst gehen. Darauf achtete ein weiterer Wächter, "Sohn Pu Douwas".
Die wissenschaftlichen Datierungen der Einzelnen künstlichen Inseln werden vor Ort nicht sonderlich ernst genommen. Und das mit Recht. Nan Douwas soll um 230 n.Chr., "Pahn Kadira" erst zwischen 900 und 1 000 n.Chr. erbaut worden sein. Das erscheint unlogisch! Von Pahn Kadira aus wurden der Bau der gesamten Nan Madol-Anlage dirigiert. Folglich muss es der älteste Teil des gesamten Komplexes sein. Wie alt aber ist Nan Madol? Niemand vermag das zu sagen. Forscher David Hatcher Childress weist darauf hin, dass das "Smithsonian Institute" einige alte Töpferwaren von Nan Madol datierte und ein Alter von 2 000 Jahren feststellte. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass das steinzeitliche Venedig vor zwei Jahrtausenden gegründet wurde. Wir wissen jetzt nur, dass um die Zeit Christi Menschen an jenem geheimnisvollen Ort siedelten. Unbekannt ist und bleibt das Alter von Nan Madol.
Die "VIPs" von Nan Madol residierten zurückgezogen auf Pahn Kadira. Das Personal hauste auf Kelepwel. Diese Insel - ebenso künstlich angelegt wie alle anderen - wurde auch als "Gästebezirk" benutzt. Die Herrscher schätzten Fremdlinge also nicht besonders und hielten sie sich möglichst auf Distanz. Auch die meisten Priester lebten zurückgezogen auf einer eigenen künstlichen Insel, auf Usendau. Auch hier wurden enorme Bauleistungen vollbracht! Auf dem kleinen Eiland (Ausmaße 85 mal 70 Meter!) wurden 18 000 Kubikmeter Stein verarbeitet! Leider ist ein großer Teil der ursprünglichen Bausubstanz auf der einst so stolzen Priesterinsel zerstört worden - vor wenig mehr als einhundert Jahren. Damals siedelten sich hier die Nachfahren der Ureinwohner von Nan Madol wieder an. Die bebaubaren Flächen waren äußerst klein, da mussten scheinbar nutzlose Ruinen weichen.
Wasau hat noch viele Geheimnisse zu bieten, die sich unter mysteriösen Plattformen und künstlich aufgetürmten Hügeln verbergen. Einst wurden hier alle Nahrungsmittel, die für die Bevölkerung von Nan Madol gedacht waren, sorgsam eingelagert. Besondere Köche wählten die besten Speisen für die Oberschicht der Hohepiester und weltlichen Herrscher aus und bereiteten sie vor, bevor sie ins "Vip-Zentrum" von Pahn Kadira verschifft wurden.
Transportprobleme und die Standortfrage
Kanus waren das einzige Transportmittel, das die einzelnen Inseln miteinander verband. Auf speziellen Kanus wurden auch die Verstorbenen von Nan Madol auf die letzte Reise gebracht. Nach streng reglementiertem Zeremoniell trat jeder Tote seinen letzten Weg an. Spezialisten salbten und ölten ihn, parfümierten ihn mit Kokosnussöl. Schließlich wurde er, mit einigen persönlichen Dingen ausgestattet, in eine kunstvoll geflochtene Matte gehüllt.. Bevor er auf einer der Inseln bestattet wurde, wurde seine sterbliche Hülle nochmals auf den Kanälen des steinzeitlichen Venedigs der Südsee zu jeder Insel gefahren. Auf Kohnderek fanden dann die heiligen Totenzeremonien statt. Sakrale Tänze wurden zu Ehren des Toten aufgeführt. Er sollte gebührend von seinem irdischen Zuhause verabschiedet werden, in der Hoffnung, dass ein besseres Jenseits auf ihn warten möge.
Gefährdet war das irdische Leben der Bewohner von Nan Madol durch die Gewalten des Meeres. Deswegen wurde mit kaum nachvollziehbarem Aufwand ein riesiges steinernes Bollwerk geschaffen, das die Meeresfluten abhalten sollte: Nan Mwoluhsei, zu Deutsch: "Wo die Reise endet". Die allem Anschein nach für die Ewigkeit gebaute Mauer ist heute noch 860 Meter lang. Sie ist erdbebensicher erstellt worden.
Immer wieder muss die wichtige Frage gestellt werden: Warum wurde Nan Madol im Südosten der Hauptinsel Temuen gebaut? Denn dieser Platz scheint alles andere als günstig gewählt zu sein. Er liegt nämlich dort, wo die Gefährdung durch das Meer am größten ist. Und wo potenzielle angreifende feindliche Truppen am schwersten abgewiesen werden konnten!
Im Nordwesten der Hauptinsel indes wären die Voraussetzungen geradezu ideal gewesen. Feindliche Flotten hätten nicht direkt attackieren können. Sie hätten vielmehr das Eiland erst einmal umschiffen müssen. Dabei wäre die Gefahr, wegen der häufig auftretenden Untiefen auf Grund zu laufen, eine beachtliche gewesen. Auf alle Fälle wären aber die so anrückenden Feinde rechtzeitig entdeckt worden. Von kriegerischen Gefahren zur Bedrohung durch die Natur! Eine Schutzmauer gegen die anstürmenden Meeresfluten wäre auch nicht nötig gewesen. Denn dann läge ja Nan Madol auf der dem Meer abgewandten Seite. Insel Temuen hätte einen natürlichen Schutzwall gebildet, ein künstlicher hätte nicht mehr mühsam aufgebaut werden müssen.
Schließlich wären dann Transportprobleme erst gar nicht entstanden. Denn dann wäre der Weg von den Steinbrüchen zu den Baustellen der künstlichen Inseln der denkbar kürzeste gewesen.
Anstatt die einfachste Variante zu wählen, entschied man sich für die aufwändigste. Das fällt dem Forscher in der Studierstube fern vom Ort des Geschehens in der Südsee allerdings gar nicht auf. Auf der Landkarte ist Temuen nur ein kleines Inselchen, für die Arbeiter vor Ort aber, die tonnenschwere Steinlasten zu befördern haben, ist es ein unüberbrückbares Hindernis!
Das Eiland ist nämlich alles andere als eben! Da türmen sich auf engstem Raum bis zu 800 Meter hohe Berge, erloschene Vulkane. Temuen ist zerklüftet, für den gut konditionierten Kletterer eine Herausforderung, für Trupps mit gigantischen Steinriesen im Gepäck ein unüberwindbares Hindernis. Dazu kommt noch, dass seit Menschengedenken fast täglich wahre sintflutartige Regenfälle auf die Insel herniederprasseln und den Boden in eine Schlammwüste verwandeln. Wären findige Arbeitertrupps auf gewaltigen Umwegen den Bergen ausgewichen, sie wären mit ihren Lasten im Schlamm stecken geblieben.
Theoretisch bietet sich dann als Alternative zum Land- der Seeweg an. Aber schon ein Blick auf die Landkarte genügt, um auch diese Antwort als unwahrscheinlich erkennen zu lassen. Die wackeren Arbeiter hätten zunächst die Basaltsäulen fällen, dann an den Strand schleppen und verladen müssen. Nehmen wir an, die Einheimischen von damals wären dazu in der Lage gewesen. Nehmen wir weiter an, sie hätten es geschafft, das Riff zu überwinden, sie wären auf die hohe See hinausgelangt. Spätestens bei der Annäherung an den Bestimmungsort Nan Madol wären sie stecken geblieben. Ist doch im weiten Umkreis um die künstlichen Inseln das Meer selbst bei Flut so seicht, dass schwer beladene Kähne, Kanus oder Flöße zwangsläufig auf Grund gelaufen wären!
Fazit: Nan Madol liegt an der völlig falschen Stelle, wenn man von bautechnischen Gesichtspunkten ausgeht. Warum wurden aber die künstlichen Inseln dort geschaffen, wo wir sie heute noch finden? Als Fundamente für riesenhafte steinerne Anlagen? Aufschluss gibt vielleicht die zyklopenhafte Wallanlage Nan Mwoluhsei.
Wo die Reise endet - für die fliegenden Götter!
Nan Mwoluhsei, die gewaltige Wallanlage vor der Seeseite von Nan Madol heißt - wie erwähnt - "wo die Reise endet". Für wen? Für die Insulaner, die mit ihren Booten nach Nan Madol kamen? Vor Ort erfuhr ich eine andere Erklärung: für die himmlischen Wesen, die einst aus den Tiefen des Alls zur Erde kamen. Deshalb lautet der älteste Name von Nan Madol "Soun Nan-leng", zu Deutsch "das himmlische Riff". Warum? Weil dort die Götter vom Himmel zur Erde herabstiegen und auch wieder von dort aus gen Himmel entschwanden. Nan Madol war für die Götter der Ort, wo ihre Reise endete. Wo sie zur Erde herabkamen, da war das "himmlische Riff". Sie waren nicht von dieser Welt. Ihre eigentliche Heimat lag im Himmel.
Dabei dachte man keineswegs an überirdische Gefilde im religiösen Sinne. Man verstand darunter nicht einen paradiesischen Ort, an dem die seligen Geister von Verstorbenen auf Wolken sitzend Manna verspeisen und zu lieblichen Lautenklängen frommes Liedgut singen. In "Polynesiean Mythology" wird dieser Himmel als ein recht ungastlicher Ort beschrieben. Aus dem Munde einer Himmlischen, die zur Erde herabgekommen war, erfahren wir, dass ihr unsere Erde sehr gut gefällt. Und das im Gegensatz zum "Himmel":
"Ich liebe diese Welt.
Sie ist nicht kalt und leer wie
der hohe Raum dort oben."
Seltsam, wie exakt diese Beschreibung des Weltalls den Erkenntnissen entspricht, wie wir Menschen des 20. Jahrhunderts sie der Raumfahrt verdanken!
Auch für die Götter aus dem All war unser blauer Planet "himmlischer" als das kalte, leere All. Wenn also davon die Rede ist, dass die Götter vom "Himmel" zur Erde kamen, dann ist damit eben nicht ein über den Wolken vermutetes Paradies im Gegensatz zur harten Realität auf der Erde gedacht! Lassen wir den legendären Gott der Südsee Pourangahua zu Wort kommen. Er frohlockt geradezu über seine Ankunft auf der Erde:
"Ich komme,
und eine unbekannte Erde
liegt unter meinen Füßen.
Ich komme,
und ein neuer Himmel dreht (sich)
über mir.
Ich komme
auf diese Erde und sie ist
ein friedlicher Rastplatz für mich.
O Geist des Planeten!"
Hier spricht kein körperloses Geistwesen aus einem Himmel im fromm-religiösen Sinne, sondern ein real-körperliches Wesen, das als Astronaut von Welt zu Welt, von Planet zu Planet reist.
Kontakte zwischen den himmlischen Besuchern und den irdischen Bewohnern von Nan Madol gab es immer wieder. Sie blieben nicht immer ohne Folgen. Paul Hambruch, der deutsche Gelehrte und Archäologe, erkundete zu Beginn unseres Jahrhunderts intensiv die Geheimnisse von Nan Madol. Wissende Einheimische fassten Vertrauen zu ihm und erzählten dem Deutschen einige ihrer heiligen Überlieferungen, die er sorgsam aufnotierte - und zwar in der Originalsprache Nan Madols und in der deutschen Übersetzung. Da begegnen wir zum Beispiel dem Himmelsgott Nan Dzapue, der mit höchst "menschlichen" Absichten auf unseren Planeten kam.
"Einstmals verließ Nan Dzapue den Himmel und stieg nach Pankatera hinab; dort trieb er Ehebruch mit der Frau des Sau Telur. Sie trafen einander und badeten in einem Bach. Er beschlief sie auf der Stelle." Die Geburt seines Sohnes wartete der himmlische Vater nicht ab: "Nan Dzapue begab sich wieder in den Himmel zurück." Sohn Iso Kalakal entwickelte sich zu einem kriegerischen Helden und begründete die erste große Herrscherdynastie von Nan Madol.
Berichte über die Frühgeschichte von Nan Madol wurden über viele Jahrhunderte hinweg mündlich weitergereicht, von Generation zu Generation. Die heiligen Legenden wurden von unzähligen Generationen als Tatsachenberichte aufgefasst und als solche den Jungen vererbt, die wiederum ehrfurchtsvoll die Texte auswendig lernten - um sie wiederum der nächsten Generation anzuvertrauen. Noch im 19. Jahrhundert gab es kaum einen Inselbewohner, der nicht firm war in den altehrwürdigen Überlieferungen. Heute sterben die Wissenden nach und nach aus. So droht ein reiches kulturelles Erbe, dessen wahres Alter niemand kennt, in Vergessenheit zu geraten.
Diesem Trend wirken zahlreiche Studenten der örtlichen Hochschule "Community College of Micronesia", Kolonia, Pohnpei, entgegen. In mühevoller Kleinarbeit haben sie sich alte Erzählungen diktieren lassen und schriftlich festgehalten. So entstand die wertvolle Mythensammlung "Never and Always". Diesem Standardwerk zufolge gehen die Siedlungen auf den künstlichen Inseln von Nan Madol auf zwei legendäre Brüder - Olsihpa und Olsohpa - zurück. Sie kamen von "irgendwoher" aus dem Westen. Bei ihrer Ankunft fanden die Beiden freilich bereits Bewohner vor - solche der göttlichen Art. Die Brüder, sie werden als Halbgötter bezeichnet, sollen magische Kräfte besessen haben. Ohne Schwierigkeit ließen sie die Basaltsäulen vom entfernt gelegenen Steinbruch herbeischweben. Göttliche Magie wurde demnach genutzt um die scheinbar anders nicht zu erklärenden Leistungen beim Transport unvorstellbarer Steinmengen zu bewerkstelligen.
Arthur C. Clarke schrieb, dass eine fortschrittliche Technologie der Zukunft aus heutiger Sicht von Magie kaum mehr zu unterscheiden sein wird. Wenn bei der Erstellung der steinernen Welt von Nan Madol tatsächlich Außerirdische "die Hand im Spiel" gehabt haben sollten, dann muss ihr Wirken für die Inselbewohner tatsächlich wie Zauberei ausgesehen haben!
Amphibische Götter und ihr Fluch
Die überirdischen, göttlichen Ur-Gründer von Nan Madol lebten, so heißt es in uralten Überlieferungen, im Meer. Masao Hadley, angesehener Wächter von Nan Madol: "Bevor das Volk von Pohnpei hier ankam, da gab es schon die Stadt der Götter! Auf dem Meeresgrund!" Diese Behausungen tief unter dem Meeresspiegel sollen auch heute noch zu finden sein: direkt bei Nan Mwoluhsei, also dort, wo die Reise endet - die der Götter aus dem All? Davon sind auch heute noch die Einheimischen überzeugt. Mutige Taucher, so wird berichtet, sind in jene Gefilde vorgedrungen und haben Ruinen erblickt. Diese Überreste einer uralten Urkultur hat noch niemand zu erforschen gewagt. Ein göttlicher Fluch soll auf ihnen ruhen und jeden Menschen töten, der sich den einstigen Behausungen der himmlischen Wesen nähert.
David Hatcher Childress ließ sich auch durch noch so Furcht einflößende Schilderungen der tödlichen Auswirkungen dieses Fluchs nicht davon abhalten, zusammen mit einigen Freunden vor Ort zu tauchen. In einer Tiefe von zwischen zwanzig und fünfunddreißig Metern unter dem Meeresspiegel stießen sie immer wieder auf senkrecht stehende Monolithen. Sie traten häufig paarweise auf und waren fast immer stark mit Korallen überwuchert." Einige dieser Steine tragen Gravuren, zum Beispiel Kreuze, Quadrate, Rechtecke und auf einer Seite offene Vierecke. Ähnliches habe ich in den fantastischen Ruinen in den Bergen Boliviens, einige Meilen von Tiahuanaco entfernt, gesehen, bei Puma Punku. Gab es eine Verbindung?" Waren das die ersten Hinweise auf die Stadt der Götter? Childress und seine Kollegen stellten fest: Unweit der stehenden Säule fiel der Meeresboden noch weiter ab, vermutlich auf fünfzig bis sechzig Meter. In jene tieferen Regionen wagten sie nicht hinabzutauchen.
Bereits 1980 hat Dr. Arthur Saxe die unterseeische Nachbarschaft von Nan Madol tauchend erkundet. Das geschah im Auftrag der Behörde "The Trust Territory of the Pacific". Dr. Saxe veröffentlichte in einer wissenschaftlichen Broschüre seine unter Wasser gewonnenen Erkenntnisse. So berichtet er von senkrecht stehenden Säulen, die in einer schnurgeraden Linie verlaufen, die sich wiederum in den Tiefen des Meeres verliert. Sie haben einen Durchmesser, so der Gelehrte, zwischen 70 cm und zwei Metern. Ihre Länge war nicht festzustellen, da nicht eruiert werden konnte, wie tief sie im Boden des Meeresgrundes stecken. Besonders imposant: Majestätisch ruht da eine fast sieben Meter hohe Säule auf einer flachen Plattform, die an einem unterseeischen Abhang eingearbeitet ist.
Meine Forderung: Es ist endlich an der Zeit, den Meeresboden um Nan Madol herum gründlich zu erforschen. Es genügt nicht, planlos herumzutauchen. Vielmehr muss sehr sorgsam kartografiert werden. Und es gilt, die Säulen auf dem Meeresgrund zu vermessen. Schließlich muss versucht werden, auch jene tiefer gelegenen Regionen - vielleicht mit Mini-U-Booten? - zu erfassen, in die bisher noch keine Taucher vorgedrungen sind. Wird man dann endlich die uralten Stadt der Götter, über die die Überlieferungen berichten, entdecken? Warten gar mehrere solche Götter-Metropolen in den Tiefen der Südsee? Davon sind zahlreiche Bewohner von Pohnpei überzeugt. Ein solches Unterfangen ist freilich extrem kostspielig. Im Augenblick fehlen - wie schon seit Jahrzehnten - die Mittel, um auch nur die wichtigsten bekannten Ruinen vor dem weiteren Verfall zu bewahren.
Die rätselhaften Bauten wirken auf den Besucher märchenhaft schön. In üppigem Pflanzengrün sind oft massive Mauerbauten nur noch zu erahnen. Selbst in den besterhaltenen Gebäuden breitet sich stetig die Natur aus. Palmen wachsen. Ihre mächtigen Wurzeln durchdringen die Fundamente von Steinmauern und drohen sie zum Einsturz zu bringen. Mangrovenbäume wachsen direkt im Gemäuer und sprengen Steinblöcke auseinander.
Geld für die Suche nach geheimnisvollen Bauten auf dem Meeresboden ist schon gar nicht verfügbar! So schütz die Ebbe in den Kassen mehr als der Aberglaube.
Ein Fluch soll nicht nur auf der unterseeischen Heimstatt der Götter liegen sondern auch auf den Gräbern der direkten Nachfahren der Besucher aus dem All. Vermeintlich "zivilisierte" Europäer, die derlei Überlieferung für Humbug hielten, sie wurden, davon sind viele Einheimische vor Ort, mit dem Tode bestraft worden. So berichtete mir der kenntnisreiche Tour-Guide Lihp Spegal, kein Geringerer als Victor Berg, Kaiserlicher Regierungsrat und stellvertretender Gouverneur der Insel, sei ein Opfer dieses Fluches geworden.
Ende April 1907 gab er den Befehl, das Grab des verehrten Iso Kalakal zu suchen und zu öffnen. Bei einer Nacht- und Nebelaktion wurde tatsächlich die letzte Ruhestätte jenes frühen Herrschers gefunden. Zur Erinnerung: Iso Kalakal war von Gott Nan Dzapue höchstpersönlich gezeugt worden, der extra zu diesem Anlass vom Himmel auf die Erde herabgestiegen war. Trotz lauter Warnungen der Einheimischen wurde die Totenruhe Iso Kalakals empfindlich gestört. Sein Grab wurde geschändet, seine Gebeine wurden herausgenommen.
Die Europäer machten sich lustig über den angeblich wirkungslosen Fluch. Abfällig äußerten sie sich über die vermeintlich dummen und abergläubischen Insulaner. Ihr Lachen verstummte bald! Einen Tag nach der Grabschändung erkrankte Victor Berg, der Stunden zuvor noch kerngesund war, und starb. Eine medizinische Erklärung fanden die Ärzte nicht. Die Einheimischen waren alles andere als überrascht. So ergehe es jedem, der die heiligen Orte von Nan Madol störe!
Die geheime Welt der amphibischen Götter
Wie die amphibischen Gottheiten, die sich in der Südsee häuslich niedergelassen hatten, genau ausgesehen haben, darüber findet sich kaum ein Hinweis in den Mythen, die bis in unsere Tage erhalten geblieben sind. Nan Somohol gehörte zu ihnen. Er tummelte sich als aalartiges Wesen in den Gefilden von Nan Madol, war das Ebenbild eines "himmlischen Gottes".
Die mythologischen Überlieferungen machen deutlich, warum Nan Madol dort entstand, wo es gebaut wurde. Just dort siedelten sich Götter, die aus dem Himmel kamen, an. Sie hatten in Nan Madol einen Stützpunkt. Ein rituelles Zentrum der Götterverehrung lag auf der Insel Darong. Im Zentrum befindet sich ein "heiliger Teich". Es handelt sich dabei um einen künstlich angelegten, mit einer steinernen Einfassung versehenen See. Elf sorgsam angelegte unterirdische Kanäle stellen eine direkte Verbindung zum Meer her.
Einer dieser Tunnels ist immerhin zwei Kilometer lang. Er führt, teilweise unter dem Meeresboden verlaufend, bis jenseits des Riffs und endet unter Wasser! So war dafür Sorge getragen, dass der kleine See (Ausmaße 70 mal 56 m) niemals austrocknete. Freilich dienten die unterirdischen Kanäle nicht nur der simplen Wasserzufuhr. Vielmehr ermöglichten sie es einer der Wassergottheiten vom Meer aus direkt ins Zentrum des Eilands zu schwimmen.
Auch die zahllosen Kanäle zwischen den monströsen Steinbauten waren keineswegs nur simple Wasserwege. In ihnen bewegten sich auch die himmlischen Göttern, die sich im Wasser am wohlsten fühlten. Deshalb mussten die Kanäle auch immer Wasser führen, auch bei Ebbe. Um das zu gewährleisten hatte man ein kompliziertes System von Schleusen in die Wasserstraßen eingebaut. Auf diese Weise war es möglich, den Wasserstand in den Kanälen beliebig zu regulieren. So wurde mit Bedacht verhindert, dass sie bei Ebbe oder in Trockenzeiten kein Wasser führten.
Noch heute erzählt man vor Ort eine uralte Legende. Einst habe im Bereich der künstlichen Inseln eine Furcht einflößende Drachenfrau gelebt. Jenes Wesen hat angeblich mit tosendem Schnauben die zahllosen Kanäle zwischen den vielen Eilanden entstehen lassen. Selbst Archäologen sind davon überzeugt, dass die Geschichte einen wahren Kern hat. Der Mutterdrache soll in Wirklichkeit ein Krokodil gewesen sein.
Zurück zum Mythos: Der Sohn der Drachenfrau hat dann, zusammen mit einem Gehilfen und einem geheimen Zauberspruch, die Steinsäulen durch die Luft herbeifliegen lassen.
Unterirdische Tunnels, die Wasser in künstlich angelegte Seen auf ebenso künstlich erbauten Inseln fließen ließen waren vom Komplex Nan Madol einfach nicht mehr wegzudenken. Viele von ihnen sind inzwischen eingestürzt. So mancher ist nur einfach vergessen worden, so mancher Eingang auch nur überwuchert. Andere Kanäle sind nach wie vor bekannt, zumindest wo ihre Ein- und Ausgänge auf den Inseln zu finden sind.
Immer wieder heißt es, dass aus diesen sakralen Kanalisationen verehrungswürdige Gottwesen auftauchten und Kontakt mit den Menschen aufnahmen. So war dies zum Beispiel auch auf der Insel Dau.
Die himmlischen Götter aber, so heißt es immer wieder in den uralten Überlieferungen, die auch heute noch erzählt werden, kamen in fliegenden Boten zur Erde. Ein Beispiel:
"Die alte Überlieferung berichtet, dass da dereinst ein Kanu war, das vom Himmel herabsegelte. Es kam nicht vom offenen Meer her, sondern vom hohen Himmel herab. An Bord waren drei Männer. Das fliegende Schiff kam nach Nan Madol. Es schwebte über die Insel dahin. Schließlich gelangte es in den Westen. Die Männer nahmen einen der Hohen Häuptlinge des westlichen Nan Madol an Bord. Sie flogen mit ihm weg. Niemand wusste, was sie besprachen. Aber als sie wieder zurückkamen, da wurde der Hohe Häuptling zum ersten König ernannt."
So wenig wir sonst noch über das Aussehen dieser Wesen wissen, so ist zweierlei nicht zu bestreiten:
- Die steinzeitliche Anlage des Venedigs der Südsee entstand an der Stelle, die nicht von den Menschen, sondern von den Göttern auserwählt worden war.
- Die Götter, intelligente Meereslebewesen, kamen eindeutig vom Himmel herab auf die Erde und begegneten den Menschen als amphibische Kreaturen.
Die Hauptstadt Kolonia ist eher ein verträumtes Nest mit staubigen Straßen ohne nächtliche Beleuchtung und bodenständiger Gastronomie. Viele der Gebäude wirken bescheiden, ja ärmlich. "Kolonia ist alles andere als schön: eine Ansammlung von verwitterten Holzgebäuden und rostenden Behausungen aus Wellblech, irgendwie beliebig aneinander gereiht an einer breiten Straße." notierte die Journalistin Georgia Hess vom San Francisco Examiner.
Die Stadt ist freilich nicht ohne besonderen Reiz. Sie erinnert mich an eine verträumte Westernstadt. Nur die Cowboys fehlen.
Wer freilich auf der Suche nach Geheimnissen der Vorzeit ist, der sollte sich von den Strapazen einer Fernreise nach Mikronesien nicht abschrecken lassen. Die extremen Langstreckenflüge sind freilich gesundheitlich nicht unbedenklich. Eine ärztliche Beratung vorher ist unbedingt anzuraten. Vorbeugende Maßnahmen gegen Thrombose sollten auf alle Fälle ergriffen werden! Das Risiko ist höher als man glaubt! Das musste der Verfasser am eigenen Leibe erfahren! Neben kostbaren Erinnerungen an eine der geheimnisvollsten Stätten unserer Erde, umfangreichen Notizen und Bergen von Fotos brachte ich auch eine gefährliche Thrombose im linken Bein mit nach Hause! Ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt war die wenig erfreuliche Folge!
Vorsicht ist geboten, wenn es um die Wahl der richtigen Fluggesellschaft geht. Gewiss, es gibt da eine Vielzahl von kleinen Airlines, die ihre Dienste offerieren. Diese Gesellschaften sind aber oft sehr unzuverlässig und kurzlebig. Dem Verfasser blieb eine unangenehme Erfahrung nicht erspart: Der fest gebuchte Rückflug von Pohnpei aus war gefährdet, weil vor Ort plötzlich das "Aus" für Air Nauru verkündet wurde.
Diverse Variationen kursierten. Air Nauru sei pleite. Eines der zwei Flugzeuge der "Luftflotte" sei verkauft, das verbleibende letzte irgendwo wegen ausbleibender Zahlungen beschlagnahmt worden. So sagten die einen. Die anderen hielten dagegen: Irgendwann geht Air Nauru schon wieder in die Luft. Nur augenblicklich benötigen Seine Erlauchte Majestät, der König von Nauru, selbst das einzige Flugzeug der staatlichen Airline. Was auch gestimmt haben mag: Den Flug Pohnpei nach Fidschi gab es nicht mehr. Ich musste wieder nach Hawaii zurück, von dort aus nach Fidschi....
Auf dem Rückflug via Hawaii und Osterinsel blättere ich in meinen umfangreichen Reisenotizen. Nochmals lese ich die Berichte der ersten europäischen Besucher auf Nan Madol. James G. O’Connell und Dr. L. H. Gulick beschreiben da exakt seltsame Bauten, die ich bei meinen mehrtägigen Recherchen vor Ort nicht wiederentdecken konnte. Irgendwo im Urwalddickicht soll es noch weitere Gebäude aus gewaltigen Basaltsäulen geben, die in ganz anderem Stil errichtet wurden. Alle Monumentalanlagen, die ich besucht habe, waren rechteckig im Grundriss. Die "verborgenen Bauten" werden als "rund" oder "elliptisch" beschrieben, eingefasst von zwei parallel verlaufenden Mauern. Vergeblich habe ich nach ihnen gesucht. Ich habe sie trotz intensiver Bemühungen nicht gefunden. Was nicht heißt, dass es sie nicht doch noch gibt. Um alle künstlichen Inseln auch nur oberflächlich zu erkunden, benötigt man viele Monate. Und Jahre müssen für die Durchforstung des Dschungels der Hauptinsel Temuen veranschlagt werden, wo ebenfalls noch riesige steinerne Gebäude unter dem Gestrüpp des rapide wachsenden Urwaldes auf neugierige Besucher warten.
Auch heute noch sprechen die Menschen von Pohnpei voller Ehrfurcht von den Geheimnissen ihrer Inselwelt. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass es Areale gibt, die auch die Einheimischen aus Furcht vor unheimlichen Flüchen nicht zu betreten wagen.
Es gibt noch so manches Geheimnis zu lüften. Seit Generationen wird von den Einheimischen von rätselhaften Bauten gesprochen, von wuchtigen Mauern und mächtigen Basaltplatten, die die imposanten Gräber von Riesen abdecken. Andere Mausoleen wiederum sollen geradezu grazil aussehen, von Zwergen angelegt worden sein.
Immer wieder ist von höchst ungewöhnlichen wiederum riesigen Denkmälern die Rede. Die erfahrensten Steinmetz-Spezialisten sollen sie einst errichtet haben. Nur die Besten konnten sie bauen: rund oder elliptisch im Grundriss! Aus der Luft betrachtet wirkten sie wie ein riesiges Bild: Eine Ellipse, doppelt umrandet. Dieses Zeichen hat eine fantastische Bedeutung! Doch dazu später mehr! Wie immer, so heißt es, war Magie im Spiel. Zauberformeln, die nur den Wissenden zugänglich waren, machten die tonnenschweren Basaltsäulen federleicht. Magie brachte sie zum Schweben.
Gewiss, mein Besuch in Pohnpei hat sich gelohnt. Ich habe in der fernen Südsee die Spur von amphibischen Wesen aufgenommen, die einst aus dem All zur Erde kamen. Aber so viel ich auch gesehen habe, es gibt noch viel mehr zu entdecken! Ich muss wohl wieder zurückkehren nach Pohnpei! Wie sagte doch der nette Taxifahrer, als er mich zum Flughafen von Kolonia gebracht hatte in der Sprache der Pohnpeianer?
Kalahngan oh kaselehlie! / Thank you and goodbye!
Danke und Aufwiedersehen!
Literatur
- Ashby, Gene (Herausgeber): "Micronesian Customs and Beliefs",
- Pohnpei 1983
- Ashby, Gene (Herausgeber): "Never and Always - Micronesian
- Legends, Fables and Folklore", Kolonia, Pohnpei 1983
- Ashby, Gene (Herausgeber): "A Guide to Pohnpei - An Island
- Argosy", revidierte Auflage, Pohnpei 1993
- Ballinger, Bill: "Lost City of Stone", New York 1978
- Brown, John Macmillan: "The Riddle of the Pacific", London 1924
- Childress, David Hatcher: "Lemuria and the Pacific", Stelle, Illinois
- 1988
- Childress, David Hatcher: "Ancient Tonga", Stelle, Illinois, 1996
- Childress, David Hatcher: "Ancient Micronesia", Kempton, Illinois,
- 1998
- Däniken, Erich von: "Aussaat und Kosmos", Düsseldorf und Wien
- 1972
- Ekschmitt, Werner: "Die sieben Weltwunder", Mainz 1984
- Ellis, James J.: "Polynesian researches", London 1932
- Fox, Charles E.: "The threshold of the Pacific", London 1924
- Hambruch, Paul: "Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908-10", Berlin
- 1936
- Langbein, Walter-Jörg: "Die großen Rätsel der letzten 2500
- Jahre", München 1997
- Morrill, Sibley (Herausgeber): "Ponape", San Francisco 1970
- "Polynesian Mythology", Wellington, New Zealand, o.J.
- Riesenberg, Saul: The Native Polity of Ponape, Washington 1968
- Saxe, Dr. Arthur: "The Nan Madol Area of Ponape. Researches Into
- Bounding and Stabilizing an Ancient Administrative Center",
- Office of the High Commissioner, Trust Terreitory of the Pacific,
- Saipan, Marianas Islands, 1980
- Spegal, Lihp: persönliche Mitteilungen, aufgezeichnet vom Verfasser,
- Pohnpei, Februar 1998
- Zamarovský, Vojtech: "Den sieben Weltwundern auf der Spur",
- Augsburg 1988